Manchmal ist es schon erstaunlich, welchen Erkenntnisgewinn das Lesen von Büchern so bringen kann. Nicht zwingend wird dabei das komplette Weltbild umgekrempelt, aber man lernt halt doch noch einige interessante Sachen dazu, die einem so nicht bewusst waren.
Und nebenbei lernt auch einige schöne Ausdrücke kennen:
Status-Quo-Bias
Die Vorliebe, Dinge so zu lassen wie sie sind
„Premortem“
statt einer Post-Mortem-Analyse (der Patient ist bereits tot) wird vorher überlegt: okay, es ging schief.. woran könnte es gelegen haben. Anschliessend wird versucht, das Eintreten eben dieser Fehler zu verhindern
„Kontrafaktisch“
Überlegungen, die eine nicht eingetretene Situation betreffen. „Wenn ich als Frau geboren worden wäre“ – tja, bin ich aber nicht und wir werden nie herauskriegen können was genau dann geschehen wäre
„Wahr aber nutzlos“
Eine genaue Analyse über die Probleme beispielsweise in Entwicklungsländern ist zwar keine schlechte Idee, hilft aber meistens nicht weiter. Interessanter sind da konkrete Dinge, die man „mal eben“ tun kann.
„Erklärte Präferenz“
Das ist das, von dem die Leute selbst behaupten, dass es ihnen wichtig sei bzw. woran sie glauben.
„Beobachtete Präferenz“
Im Gegensatz zu der erklärten Präferenz ist die beobachtete Präferenz das, was den Leute wirklich wichtig ist bzw. was sie glauben. Häufig gibt es starke Abweichungen zu den offenbarten Präferenzen.
Entscheidungsparalyse
Wenn man den Leuten zu viele Optionen bietet, neigen sie dazu, gar nichts zu wählen. Beispielsweise verkauft man mehr Marmelade, wenn man in einem Laden 6 Sorten zum Probieren anbietet, als wenn man da 24 Sorten hinstellt.
negative externe Effeke
Kosten, die man verursacht, aber nicht selbst trägt.
Kosten internalisieren
Die negativen externen Effekte wieder zum Erzeuger führen. Beispielsweise CO2 Steuer
Wer also mal ein wenig anregendes Material braucht, dem empfehle ich folgende Bücher:
„Das Black Box Prinzip“ von Matthew Syed:
Der Autor vergleich die Fliegerei mit der Medizin, was den Umgang mit Fehlern angeht. Während bei der Flugindustrie jeder Fehler untersucht wird, damit sich der Fehler nicht wiederholt, wird bei den Halbgöttern in Weiß ein Fehler lieber unter den Teppich gekehrt, was dann dazu führt, dass die gleichen Fehler noch mal gemacht werden.
Es ist für den Fortschritt unerlässlich, Sachen auszuprobieren, dabei Fehler zu machen, aus ihnen zu lernen und Verbesserungen vorzunehmen. Oft sind die richtig klingenden Ideen nutzneutral, während ein nicht so logisch klingender Weg super funktioniert.
Nicht zuletzt ist es wichtig, seine eigenen Annahmen auf die Probe zu stellen und zu überprüfen, ob es wirklich so ist, wie es aussieht. Wer die Wirksamkeit einer Maßnahme prüfen will, kommt nicht um eine Kontrollgruppe herum, damit man einen Vergleich anstellen kann.
„Freakonomics-Bücher“ von Stephen D. Levitt und Steven J. Dubner
Menschen verhalten sich alles andere als rational. Es geht um die generelle Frage, wie man die Leute dazu bringt, etwas zu tun oder eben nicht zu tun. Was treibt die Menschen an? In einem Wort: es geht um Anreize.
Erstaunlich ist, wie oft ein eigentlich genial klingender Plan, der theoretisch idiotensicher sein dürfte, dann total nach hinten losgeht und nicht nur nicht funktioniert, sondern die Sache sogar noch schlimmer macht.
Die in dem Buch geschilderten Sachen sind stellenweise schon echt schräg, so gehen die Autoren der Frage nach, ob Sumo-Ringer betrügen (ja, tun sie), führen ein Interview mit einem Callgirl über deren Preisgestaltung, zeigen auf warum Drogendealer meistens bei ihrer Mutter wohnen etc.
„Die Schock-Strategie“ von Naomi Klein
Die meisten Leute glauben ja den Blödsinn, der uns so erzählt wird von wegen „Juhu, alle Macht den Firmen! Freien Markt für alle! Der Staat muss schlanker werden und sich vor allem raushalten! Oh, die Banken haben so richtig Scheisse gebaut? Äh, Staat? Nu aber mal hier! Eingreifen, 500 Milliarden Euro den Bürgern aus der Tasche ziehen und uns geben, aber flott!“
Naomi Klein räumt auf mit dem Vorurteil, dass der freie Markt schon alles regeln wird. In dem Buch wird ziemlich schonungslos gezeigt, was für Auswirkungen der ach so freie Markt hat und wie schlimm es werden kann, wenn man den neoliberalen Theoretikern freie Hand lässt.
„Stresstest Deutschland“ von Jens Berger:
Wir leben in einer Demokratie. Steht zumindest dran. Hat nur nicht mehr viel mit Demokratie zu tun. Der Autor bestätigt einem das, was auch schon der gesunde Menschenverstand sagt: eine schwäbische Hausfrau ist nicht das gleiche wie eine Volkswirtschaft, die Deregulierung der Märkte hilft nur den Firmenbesitzern und Managern, die Privatisierung des öffentlichen Sektors ist eine echte Scheissidee etc.
Lustig ist, dass diese Tatsachen in der normalen Presse gerne unter den Teppich gekehrt werden. Stattdessen singt man lieber das Hohelied der Neoliberalisierung.
„Lügen mit Zahlen: Wie wir mit Statistiken manipuliert werden“ von Gerd Bosbach
Wir begegnen tagtäglich in den Nachrichten und Zeitschriften mit Statistiken und Diagrammen. Hier geht es um das korrekte Verständnis von Statistik und Diagrammen – immer wieder stellt man fest, dass diese Daten in böser Absicht (manchmal auch durch Unfähigkeit) manipuliert werden.
Wir lernen hier, manipulierte Grafiken zu erkennen und vor allem die größeren Zusammenhänge zu beachten. Ein kleines Beispiel: „Dieses Jahr werden 5000 Lehrer neu eingestellt!“. Oh, das ist schön. Gegenfrage: Wie viele Lehrer gehen denn in diesem Jahr in Rente? Upps, dann sieht die Zahl auf einmal nicht mehr so gut aus.
(Auf das Buch musste ich früher oder später ja aufmerksam werden, unter anderem deswegen weil der Autor uns bei der Rheinischen Akademie Köln damals das Programmieren in Pascal beigebracht hat.)
„Switch: Veränderungen wagen und dadurch gewinnen!“ von Chip und Dan Heath
Hier geht es um die Frage, wie man Veränderungen umsetzen kann, sowohl im geschäftlichen Bereich als auch privat. Das Grundkonzept ist, dass der Menschliche Verstand (das Bewusstsein) wie ein Elefantenreiter ist. Das kurzfristig denkende Belohnungssystem (der innere Schweinehund) ist in diesem Sinnbild der Elefant. Der Reiter kann den Elefanten nicht auf Dauer zu etwas zwingen, also muss man Reiter und Elefant gemeinsam motivieren, in die gleiche Richtung zu laufen.
Untermauert wird dieses Konzept durch viele Beispiele von Menschen, die auch ohne eine Machtposition inne zu haben trotzdem sehr viel verändern konnten, indem sie bei der Chefetage sowohl den Reiter als auch den Elefanten ansprachen.
„Der Drache in meiner Garage. Oder die Kunst der Wissenschaft, Unsinn zu entlarven“ von Carl Sagan
Hier haben wir eine Liebeserklärung an die Wissenschaft. Der Autor (vergleichbar hierzulande mit Professor Harald Lesch) erklärt uns, wie die wissenschaftliche Forschung funktioniert. Nämlich indem man seine Hypothesen aufstellt und dann zur Diskussion stellt, wobei dann alle anderen versuchen, diese Theorie zu widerlegen.
Je unglaublicher eine Behauptung ist, desto stärker müssen die Beweise dafür sein. Von daher ist dieses Buch eine Anleitung, wie man gegen Aberglauben vorgeht – sei es der angebliche Missbrauch durch Ausserirdische, das Funktionieren von Astrologie oder auch nur komische Statistiken einer Regierung.
Auch hier geht es um Anreize und die Frage, warum Leute sich für eine bestimmte Möglichkeit entscheiden. Jedoch erheblich anders als beispielsweise bei den Freakonomics.
Denn der Autor stellt durchaus zutreffend fest, dass die meisten Leute zu faul/doof/beschäftigt sind, um sich selbst Gedanken zu machen. Also kann es durchaus im Interesse aller sein, den Leuten sinnvolle Vorgaben zu machen.
Eines seiner Beispiele ist das englische Konzept einer Zusatzversicherung. Da zahlt der Arbeitgeber die nötige Summe in eine Versicherung ein, den Arbeitnehmer kostet es keinen Cent, er muss nur unterschreiben, dass er das auch will. Und nur 51% der Berechtigten nehmen es auch in Anspruch.
Allein schon von Berufs wegen wusste ich das, was dort in
dem Buch steht, schon vorher: die automatische Bewertung und Auswertung von
Personen und ihren Daten findet forlaufend statt und hat enorme Auswirkungen.
Dass Geschäfte ihre potentiellen Kunden bewerten, ist verständlich.
Pervers wird das System aber dadurch, dass ein
Bewertungsalgorithmus immer als gottgleich angesehen wird und Fehler als
ausgeschlossen betrachtet werden. Bekanntestes Beispiel dürfte wohl die Schufa
sein: wer dort einen schlechten Score hat, hat eben Pech gehabt. Warum und
wieso der Score schlecht ist? Steht da nicht, interessiert auch keinen und
dagegen angehen ist auch schwierig.
Auch hier findet man ähnlich wie beim Black-Box-Buch den Hinweis auf fehlerhafte Feedback-Schleifen. Es wird nicht kontrolliert, ob z.B. jemand, dessen Kreditantrag abgelehnt wurde, bei einer anderen Bank doch einen Kredit bekam und den auch erfolgreich zurückzahlt – was dann nämlich das Potential bietet, den eigenen Algorithmus zu verbessern.
Hochinteressantes Buch. Im Gegensatz zu vielen anderen Büchern, die man auf 2 Seiten gut zusammenfassen kann, hat es eine sehr hohe Informationsdichte und sollte unbedingt von jedem mal gelesen werden.